Bundesverkehrsminister Dobrindt hat also am 21.09.2016 seinen eigenen, gut begründeten Bundesverkehrswegeplan 2030 ausgehebelt. Er hat 11 Millionen Euro Steuergelder für den sofortigen Bau eines Projekts nach dem ALTEN Bundesverkehrswegeplan freigegeben, das lediglich aufgrund eines Rechenfehlers dorthin gelangen konnte, und das auch im neuen Bundesverkehrswegeplan nur aufgrund eines erneuten Rechenfehlers enthalten ist.
Minister und Entscheidungsträger Dobrindt unterläuft seinen eigenen Plan kurz vor dessen Inkraftsetzung und schaufelt ein Millionengrab, obwohl bekanntlich das Geld bei weitem nicht für alle Projekte aus dem „vordringlichen Bedarf“ des neuen BVWP reichen wird.
Er erteilte am 21.09.2016 Baufreigabe für 24 Projekte. Das Geld dafür stammt aus einem Paket, das für wichtige Infrastrukturmaßnahmen gedacht ist.
Nach aktueller Bewertung fallen von den 24 Projekten
7 Projekte in die Kategorie "laufende"
16 Projekte in die Kategorie "vordringlicher Bedarf"
1 einziges Projekt fällt in die Kategorie "weiterer Bedarf": WB*(OU Schirnding)
Der Ausbau der Ortsumgehung Schirnding ist nicht als wichtiges Projekt eingestuft. Das Bundesverkehrsministerium hat in der Vergangenheit wiederholt bestätigt und bestätigt aktuell, dass der Verkehr auf der vorhandenen Straße verträglich abgewickelt werden kann. Ein Ausbau ist nicht erforderlich.
Warum also erteilte Minister Dobrindt die Baufreigabe?
Das fragen sich viele.
Das fragen sich auch Mitglieder des Verkehrsausschusses.
Dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur gehören 41 Mitglieder an.
CDU/CSU: 20
SPD: 13
Linke: 4
Grüne: 4
Kerstin Popp hat sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht, jedes Mitglied einzeln anzuschreiben.
Es scheint, dass man innerhalb der Parteien Verantwortliche bestimmt hat, um eine "gewissenhafte Bearbeitung der Anliegen gewährleisten zu können".
Kerstin Popp hatte zwar gedacht, dass jedes Ausschußmitglied selbst ein ihm geschildertes Problem unvoreingenommen und sachlich prüft und dann unter Berücksichtigung simpler Zahlen und Fakten selbstständig, seinem eigenen gesunden Menschenverstand folgend, entscheidet und handelt.
Aber gut, wenn das mit den Länderberichterstattern oder wie immer man sie nennen will, funktioniert-
Es funktioniert bei den Linken hervorragend. Sie besitzen nicht nur die Höflichkeit, überhaupt zu antworten, sie nehmen sich der Sache auch ernsthaft an.
"Es ist völlig unverständlich, warum es jetzt für die OU Schirnding eine Baufreigabe gab, obwohl diese Erweiterung offensichtlich nicht notwendig ist (bei nur 6000 prognostizierten Kfz/Tag) und es ist das einzige Projekt innerhalb der Liste der 24 Baufreigaben, welches nur im "Weiteren Bedarf (WD)" eingeordnet war und von daher auch deswegen keine Eile bestand. Wir kritisieren dies scharf. Das der weitere Abschnitt bis zur A 93 als "kein Bedarf" klassifiziert wurde und damit rausfiel aus dem BVWP, spricht ja auch Bände."
Es funktioniert bei den Grünen hervorragend.
MdB Elisabeth Scharfenberg richtet eine Schriftliche Anfrage an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Die dazugehörige Pressemitteilung findet sich hier
http://www.elisabeth-scharfenberg.de/presse/2016/10/14/antwort-des-bmvi-zum-ausbau-der-ou-schirnding/
"Auf die Frage nach den Gründen, die ihn veranlasst haben plötzlich wieder auf den alten, längst überholten Bundesverkehrswegeplans (BVWP) zurück zu greifen und den vierspurigen Ausbau der Ortumgehung Schirnding doch noch durchsetzen zu wollen, antwortet das BMVI lediglich: Weil es möglich ist!"
Weil es möglich ist.
"Anders lässt sich das Ganze auch nicht begründen. In der Tat gilt noch der alte BVWP. Dort ist die B303 in den Maßnahmen des „Vordringlichen Bedarfs“ enthalten. Und der neue Plan befindet sich derzeit in der Abstimmung, ist also noch nicht in Kraft getreten. Diese Lücke will Dobrindt nutzen. Und das wider jede Vernunft. Denn das Ministerium kommt im neuen BVWP klar zu dem Schluss, dass der Ausbau zu einer vierspurigen Autobahn in keinem Verhältnis steht zu dem prognostizierten täglichen Verkehrsaufkommen."
Ein saloppes "Weil es möglich ist" als Begründung dafür, dass 11 Millionen Euro Steuergelder verschwendet werden sollen? Noch dazu für ein Projekt, das es von Rechts überhaupt nicht geben dürfte, weil es nur aufgrund eines Rechenfehlers in den Verkehrswegeplan geriet und dort dann - VOR ALLEM! - nur blieb weil das Ministerium trotz wiederholter Zusage es somit auch wiederholt versäumt hat seinen eigenen Fehler zu korrigieren.
Und auch in den neuen Bundesverkehrswegeplan hat es Projekt OU Schirnding, B 303-GO50-BY-TO2-BY ja, wie gesagt, wiederum nur durch einen Rechenfehler geschafft. Man hat das geringe Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,3 errechnet, das offenbar die Einstufung unter "weiterer Bedarf" rechtfertigt. Aber die Berechnungsgrundlage ist falsch. In Wahrheit ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis kleiner als 1.
Bei SPD und CDU/CSU funktioniert das System mit den Beauftragten hingegen nicht.
Von der bei der SPD zuständigen Koordinatorin für den Bundesverkehrswegeplan für Bayern, Frau Rita Hagl-Kehl, erfolgt überhaupt keine Reaktion.
Kerstin Popp erhält von einem SPD-Aussschußmitglied zwar die Info, dass er "Da sich die Bearbeitung innerhalb der SPD-Fraktion immer nach den Wahlkreisen richtet (um den örtlichen Kenntnissen besser Rechnung tragen zu können)", ihre Anfrage an die entsprechende Abgeordnete, Frau Petra Ernstberger weitergeleitet hat, mit der Bitte um Bearbeitung, und und darüber hinaus an die zuständige Koordinatorin für den Bundesverkehrswegeplan für Bayern, Frau Rita Hagl-Kehl.
Warum die Weiterleitung an Frau Ernstberger? Noch dazu mit der Bitte um Bearbeitung? Es ist der Verkehrsausschuß, der offiziell den Gesetzentwurf berät, bevor er in den Bundestag kommt! Frau Ernstberger gehört ihm nicht an. Zudem sind beim Thema Ausbau der B303 keine örtlichen Kenntnisse von Nöten. Ein kurzer Blick auf die simplen Fakten genügt.
Mit der CDU/CSU-Fraktion verhält es sich sogar noch sonderbarer.
Die Berichterstatterin für den BVWP im Bereich des Freistaats Bayern, MdB Daniela Ludwig, antwortet Kerstin Popp am 21.09.2016 "auch im Namen meiner Kollegen" zunächst prompt und durchaus aufgeschlossen:
"In den kommenden Wochen werden wir beraten, wo ggf. noch Änderungen an der Einstufung einzelner Projekte vorgenommen werden müssen. Gerne stelle ich dabei auch die Ortsumgehung Schirnding (B303-G050-BY-T02-BY)zur Diskussion."
Aber nur zwei Tage später teilt sie mit, dass auch sie persönlich die Ortsumgehung Schirnding als Beitrag zum Zusammenschluss des deutschen und tschechischen Autobahnnetzes positiv sieht und den zügigen Ausbau begrüßt.
Auch sie?
Auch.
Wer noch außer ihr?
Einspruch.
Dieser Sinneswandel sieht vielleicht aus wie Ein-Nordung durch einen Ausbaubefürworter, aber er ist vielleicht einfach nur der Tatsache geschuldet, dass sich Frau Ludwig in den beiden Tagen intensiv mit dem Thema befasst hat und zu dem Schluß gekommen ist, dass dieses Stück Ortsumgehung tatsächlich wichtig und dringlich genug ist, um im Rahmen des Investitionshochlaufs umgehend angegangen zu werden. Vielleicht ist sie nach sachlicher Betrachtung des Materials davon überzeugt, dass es Vernunft und Logik und gesundem Menschenverstand entspricht, 11 Millionen Euro Steuergelder auszugeben für den weiteren Ausbau eines 2,5 Kilometer langes Teilstück einer bestehenden Ortsumgehung, die für 20.000 Kfz ausgelegt ist, auf der aber nur knapp über 5.000 Kfz fahren, und auf der allen Prognosen nach nie mehr als 6.000 Kfz fahren werden.
Antwort auf den Einspruch:
Ja. Aber dieser Vermutung widerspricht, dass Frau Ludwig noch am 5.10.2016 nicht einmal weiss, wo dieser Ausbau überhaupt stattfinden soll, zu dem sie vorher selbst mehrfach korrespondiert hat. Hätte sie einen Blick auf das Projekt geworfen gehabt, hätte sie zwangsläufig gewußt in wessen Wahlkreis es liegt.
Zudem hätte sie gesehen, dass dieses 2,5km lange Bauwerk das tschechische und das deutsche Autobahnnetz gar nicht zusammenschließen kann, nicht einmal ansatzweise. Denn das Bundesverkehrsministerium sieht im weiteren Verlauf zur Autobahn A93 für eine vierspurige B303 keinen Bedarf. Siehe Bundesverkehrswegeplan 2030.
Und auch Tschechien sieht keinen Bedarf darin, ab der Grenze vierspurig auszubauen. Siehe tschechischen Verkehrswegeplan http://www.dopravnistrategie.cz/en/menu-project/menu-downloads
Noch ein Einwand?
Nein, mir fällt kein Einwand mehr ein - kein Einwand mehr.
Wie Kerstin Popp am 26.10.2016 dem Unionsberichterstatter für die grundsätzliche Methodik und den Verfahrensablauf des Bundesverkehrswegeplans schrieb:
"Ich muß mich aber langsam zwangsläufig fragen, nach welchem Prinzip Ihr Ausschuß arbeitet. Meine bisherige Erfahrung: Auf meine email an ein Mitglied erfolgt in den meisten Fällen keine Reaktion. Einige verweisen mich an Frau Ludwig oder leiten meine "Anfrage" einfach weiter an "meinen zuständigen Bundestagsabgeordneten". Warum? Er gehört keinem Ausschuß an. Sonst hätte ich ihn schon selbst kontaktiert. Inwieweit kann er also zuständig sein? Richtet sich Ihr Ausschuß nach seinen Wünschen, und handelt - bzw. handelt nicht - gemäß seinen Vorgaben? "Mein" CSU-Bundestagsabgeordneter wünscht den Ausbau, er setzt sich schon seit Jahren dafür ein. Erfahrungsgemäß fällt es vielen Leuten, die in eine Angelegenheit seit langen Jahren persönlich involviert sind, nicht immer leicht, zeitnah den nötigen Abstand einzunehmen, um unvoreingenommen und sachlich simple Fakten akzeptieren zu können."
Dr. Hans Peter Friedrich setzt sich - seinen eigenen Worten nach - schon seit 15 Jahren für eine vierspurige Straße vom Grenzübergang Schirnding zur Autobahn A9 ein.
Ein kleiner Exkurs in die Geschichte.
Das Projekt 'Maintalautobahn' bzw. 'B303 neu' ist seit etwa 1968 in verschiedenen Ausprägungen bei der Fernstraßenplanung durchgefallen, erstmals zum BVWP 1973. In den BVWP 2003 wurde das Projekt östlich der A93 nur aufgenommen, weil mit einem Rechenfehler eine 'Punktlandung' beim Nutzen-Kosten-Verhältnis hingelegt wurde. Man nahm den Nutzen einer vierspurigen Straße, aber die Kosten für eine zweispurige...
Dieser Fehler wurde zwar anerkannt, aber nie korrigiert.
2009 erkannte der Bayerische Innenminister
http://www.stbabt.bayern.de/strassenbau/projekte/s_projekte_b303_a93a9.php,
dass er gegen den Widerstand im Landkreis Bayreuth den Bau einer völlig neuen Trasse nicht durchsetzen kann. Auch nicht im Landkreis Wunsiedel.
Allerdings gibt es dort parteiübergreifend (CSU und SPD) die Forderung http://www.frankenpost.de/lokal/fichtelgebirge/fichtelgebirge/art654373,5020782
für einen vierspurigen Ausbau der bestehenden B303. Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan 2030 würde auch diesem Ausbau eine Absage erteilt, da kein Bedarf besteht.
Die logische Konsequenz:
Am 21.09.2016 wurde daher das gute alte Projekt 'B303 Ortsumfahrung Schirnding 1. Bauabschnitt' ausgegraben, für das Baurecht besteht, für das es aber aus den bekannten Gründen nie eine Finanzierung gab, denn es besteht dafür keinerlei Bedarf, wie auch im Verkehrsministerium bekannt ist. Es hat in der Vergangenheit mehrfach bestätigt und bestätigt aktuell, dass der Verkehr auf der vorhandenen Straße verträglich abgewickelt werden kann.
Unverkennbar freuen sich die Abgeordneten Dr. Hans Peter Friedrich und Petra Ernstberger jedenfalls gemeinsam
http://www.frankenpost.de/lokal/fichtelgebirge/fichtelgebirge/art654373,5098902 über die Baufreigabe.
Die Frage:
Erklärt das das Verhalten der SPD- und Unionsfraktionsmitglieder des Verkehrsausschusses?
Und die Frage:
Soll hier ein Pflock eingeschlagen werden? 2,5 km vierspurige Straße, um damit den Druck zu erhöhen, auch den Rest zwischen Grenze und A93 auszubauen?
http://www.frankenpost.de/lokal/fichtelgebirge/fichtelgebirge/art654373,5102818
Obwohl nach aller Regeln der Verkehrsplanung keinerlei Bedarf besteht?
Und, noch schlimmer: Soll hier der Druck erhöht werden auf unsere tschechischen Nachbarn, die nicht vorhaben, die R6 zwischen Grenze und Eger auszubauen? Weil auch dort der Verkehr so gering ist, dass ein Ausbau schlichtweg nicht erforderlich ist. Aber wenn "die Deutschen" vierspurig zur Grenze bauen---?
Nun.
Anfang Dezember hat der Bundestag die Ausbaugesetze für Straße, Schiene und Wasserwege beschlossen, die aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 hervorgegangen sind. Trotz mehrerer hunderter Änderungsanträge aus der Opposition blieb es bei diesem äußerst "straßen-lastigen und umweltschädlichen Gesamtwerk. Es trat gar das Gegenteil ein: Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD nahm noch viele weitere Straßen-Projekte neu mit auf."
Eine Übersicht der Änderungsanträge findet sich hier:
http://www.nachhaltig-links.de/images/DateienJ2/1_Mobilitaet/2_PDF/2016/LINKE_1815444_Umdruck_1-9.pdf
Darunter auch Projekt OU Schirnding, B 303-GO50-BY-TO2-BY. Mit fundierter Begründung.